Sender Berus: Warum im Saarland der weltgrößte Piratensender stand

Es ist ein gigantisches Gebäude, das in dieser Form einmalig in der Welt ist: Die alte Sendeanlage nahe Berus. Im kommenden Jahr wird die Anlage 70 Jahre alt. Diese spannende Geschichte steckt dahinter:
Der Sender Europe 1 in Felsberg-Berus: Es war eine der stärksten Sendeanlagen der Welt. Foto: Christine Funk
Der Sender Europe 1 in Felsberg-Berus: Es war eine der stärksten Sendeanlagen der Welt. Foto: Christine Funk

Riesiges Gebäude mitten im Nichts

Wer den kleinen, saarländischen Ort Felsberg bei Berus über die schmale Straße Richtung Frankreich verlässt, sieht zunächst nichts Spektakuläres. Rechts und links des Weges säumen sich Felder. Der Name der Straße gibt einen ersten Hinweis: “Zum Sender”. Erst nach gut 1000 Metern Fahrt klärt sich auf, warum die Straße so heißt. Hier im Nichts, inmitten der Getreidefelder, gab es seit den 50er Jahren die weltweit größte und stärkste Sendeanlage. Das Radioprogramm war bis nach Marokko zu empfangen – das liegt mehr als 3.000 Kilometer von Berus entfernt.

Warum der Sender Berus der weltgrößte Piratensender war

Genau genommen war es gleichzeitig auch der weltgrößte Piratensender – erbaut, um die strengen französischen Radiogesetze der 50er Jahre zu umgehen. Weil in Frankreich Privatradio verboten war, sendete man eben von hier aus. So ist es kein Zufall, dass die Sendeanlage nur 700 Meter von der Grenze zu Lothringen entfernt liegt. Der Sender verdankt seine Existenz dem besonderen Statut des Saarlandes in den 50er Jahren – genauer des Saargebiets. Das gehörte bis 1957 noch nicht zur Bundesrepublik und war eng mit Frankreich verbunden. Die Sendeanlage hatte übrigens deshalb derart gigantische Ausmaße, weil Europe 1 hier auch ein Fernsehstudio geplant hatte. Aus dieser Idee wurde allerdings nie etwas.

Doch erzählen wir die Geschichte von Anfang an. Die Architektur ist so ungewöhnlich, wie die Geschichte der Anlage selbst.

Das Dach erinnert an eine geöffnete Auster

Wer vor der Sendehalle bei Berus steht, blickt auf ein gigantisches Gebäude von 86 Metern Länge und 46 Metern Breite. Drohnenbilder zeigen einen Bau mit geschwungenem Dach. Zwei Flügel liegen auf schlanken Säulen und einer Fassade mit sehr viel Glas. Die Architekten ließen sich damals vom Erdreich inspirieren, das hier zwischen Deutschland und Frankreich vorherrscht: Muschelkalk. Die Dachform soll an eine geöffnete Auster erinnern. 1954 wurde mit dem Bau begonnen – in wenigen Wochen feiert das denkmalgeschützte Gebäude mit dem Austerndach seinen 70. Geburtstag.

Eine Perle ist es auf jeden Fall: Die Halle im Inneren säumen riesige, hohe Fensterreihen entlang des gesamten Bauwerks – von den Seiten über das langgestreckte Halbrund. Es könnte auch ein großer Konzertsaal sein. Oder eine gewaltige Ausstellungshalle.

Die große Sendehalle: Die alte Technik ist weitestgehend erhalten. Foto: Funk

Heißer Tee gegen die Kälte in der Halle

Es ist unerwartet kalt in der Halle! Christoph Switalla empfängt eine kleine Gruppe. Er wird sie heute durch den “Sender Europa 1” führen, wie das Gebäude offiziell auf der Google-Karte heißt. Switalla hat bis vor ein paar Jahren selbst hier gearbeitet, als die Radiowellen von Berus aus noch halb Europa versorgten. 2019 endete der Sendebetrieb. Sprengladungen ließen die letzten vier Sendemasten fallen.

Sendetechnik erzeugte früher Wärme und heizte die Halle

Zum Start der Führung reicht eine Helferin erst einmal heißen Tee. Der ist sehr willkommen bei den winterlichen Temperaturen in der Halle. Warum ist es eigentlich so kalt in dem Gebäude? “Früher war das anders”, erklärt Switalla. Die riesige Sendetechnik erzeugte reichlich Wärme, als sie noch in Betrieb war. Eine gesonderte Heizung war da nicht notwendig.

Die riesige Halle gehört heute der Gemeinde

Kein Sender – keine Wärme mehr. Deshalb bleibt die Halle jetzt kalt – im Winter fast unerträglich. Das ist auch das große Problem, das die Gemeinde Überherrn mit der Sendehalle hat. Schon 2016 hatte die letzte Besitzerfirma, RTL-Tochter Broadcasting Center Europe, an die Gemeinde verkauft. 120.000 Euro war das ungewöhnliche Gebäude der Gemeinde wert. Ideen für die künftige Nutzung gab es einige. Zum Beispiel als einzigartige Konzerthalle.

Mitarbeiter badeten vor grandioser Kulisse

Die klimatischen Bedingungen machten allerdings bisher jeglichem Konzept einen Strich durch die Rechnung: Im Sommer wird die Halle zu warm, im Winter unerträglich kalt. Heizen oder Kühlen ist fast unmöglich – dafür war die Anlage nie gedacht.

Die Drohnenbilder zeigen vor der Halle zwei große Teiche – sie formen zusammen eine geschwungene Acht. Christoph Switalla erzählt, dass früher mit dem Wasser Kühltests durchgeführt wurden. Mitarbeiter nutzten die Wasserbecken auch schon mal für ein Bad – ein paar Schwimmzüge vor der sicherlich imposantesten Kulisse weit und breit.

Alles wirkt, als habe hier gestern noch jemand gearbeitet

Schade: Ob in der prächtigen Sendeanlage irgendwann Konzertpremieren stattfinden werden, ist ungewiss. Dennoch finden sich ständig neue Motive: Eine Schaltanlage mit klobigem Telefon, einen alten Konferenztisch, dazu Stühle mit petrolblauen Bezügen, eine charmante Küche in 50er-Jahre-Pastellfarben. Alles wirkt so, als habe gestern hier noch jemand gesessen, gearbeitet, zum Telefon gegriffen oder sich in der Mittagspause seine Mahlzeit zubereitet.

Einer der größten und stärksten Sender der Welt

1955 hatte der Sendebetrieb mit 400 Kilowatt begonnen – auf Langwellenfrequenzen. Ab 1976 stieg die Leistung sogar auf 2 Megawatt. Kein anderer Sender in Deutschland war stärker – zwischen den Feldern bei Berus stand nun eine der größten Rundfunksendeanlagen der Welt.

Mit den Jahren wurde der Betrieb weniger rentabel, UKW und Digitalradio machten den Langwellenwellenradios das Leben schwer. Am 31. Dezember 2019 war dann Schluss – die Signale erloschen endgültig. Im Gebäude hängt noch eine Europe-1-Fahne am Schrank hinter dem 50er Jahre Konferenztisch.

Christoph Switalla hat bis vor wenigen Jahren selbst in der Sendeanlage in Berus gearbeitet. Fachkundig erklärt er die alte Technik.
Foto: Funk

Auch heute wird noch ab Berus gesendet

Die meisten der alten Anlagen stehen weiter in der Halle. “Hochspannung – Vorsicht! Lebensgefahr”, warnt ein gelbes Schild mit rotem Blitz auf einem der Metall-Schaltschränke. Mit Hochspannung gab es in der Sendeanlage häufiger Probleme – wenn Gewitterwolken über der großen Auster aufzogen und Blitze über dem Gebäude niedergingen. “Dann mussten wir schnell reparieren”, sagt Switalla.

Einzigartige saarländisch-französische Geschichte

So ganz vom Radio hat sich das Areal zwischen den Feldern nie verabschiedet. Der hoch gelegene Standort hier bei Berus ist einfach ideal, um von dort Signale in die Welt zu senden. Bis Marokko reichen diese allerdings nicht mehr. Der SR sendet von einem Sendemast neben der großen Halle sein digitales DAB-Radioprogramm.

Der Besuch der Anlage war eine Reise in eine ganz eigene Welt. Ein gigantisches Bauwerk im Nichts – mit einer einzigartigen Geschichte, die es so nur an der Grenze zwischen dem Saarland und Frankreich geben kann.

Sender Berus: Infos zu Führungen

Das Kulturamt der Gemeinde Überherrn bietet regelmäßig Führungen in der Sendehalle Berus  an. Diese finden an jedem dritten Mittwoch, um 14 Uhr, und an jedem dritten Samstag, um 11 Uhr, zwischen Oktober 2023 und März 2024 statt. Der Preis beträgt 10 Euro pro Person. Die Führung dauert etwa eineinhalb Stunden, in der kalten Jahreszeit ist eine Tasse Wintertee ist inklusive.

Eine vorherige Anmeldung ist erforderlich per E-Mail an [email protected] oder per Telefon unter 06836 909-139 oder -122.

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