Saar-Politikerin Emily Vontz: So hat Deutschlands jüngste Abgeordnete ihr erstes Jahr im Bundestag erlebt

Gut ein Jahr haben wir Emily Vontz (23), Deutschlands jüngste Abgeordnete, auf ihrem Weg im Deutschen Bundestag begleitet. Mit dem großen Abschluss-Interview endet die Reihe "Emily in Berlin". Denn die Politikerin ist angekommen. Die gebürtige Merzigerin rückte Anfang 2023 für Heiko Maas in den Bundestag nach. Im Interview verrät sie: Es war nicht immer leicht. Wir trafen sie für das Gespräch in ihrem Wahlkreis in Saarlouis.
Das Foto zeigt Deutschlands jüngste Bundestagsabgeordnete: Emily Vontz
Emily Vontz unter der Kuppel des Reichtagsgebäudes. Sie ist Deutschlands jüngste Abgeordnete. Foto: Selin Jasmin
Das Foto zeigt Deutschlands jüngste Bundestagsabgeordnete: Emily Vontz
Emily Vontz unter der Kuppel des Reichtagsgebäudes. Sie ist Deutschlands jüngste Abgeordnete. Foto: Selin Jasmin

Du bist seit einem guten Jahr im Bundestag, wie ist dein Fazit in zwei Sätzen?

Emily Vontz: Mein Leben hat sich sehr verändert. Ich bin aber sehr dankbar für diese Chance und ich glaube, dass ich nach einem Jahr im Bundestag wirklich angekommen bin und weiß, was funktioniert und was vielleicht auch länger dauert.

Gab es etwas, das dir Heiko Maas mit auf den Weg gegeben hat, als euer Wechsel anstand?

Emily Vontz: Er hat gesagt, man soll nie vergessen, wo man herkommt. An diesen Satz erinnere ich mich sehr oft. Denn: Natürlich ist Berlin eine eigene Welt, eine Politikblase, in die man sich nicht hineinziehen lassen darf. Es fällt allerdings auch nicht so schwer, nicht zu vergessen, dass man aus dem Saarland kommt – ich fahre ja immer hin und her zwischen Berlin und dem Saarland. Viele denken, dass ich nur in Berlin wohne. Aber ich bin mehr als die Hälfte meiner Zeit im Saarland in meinem Wahlkreis. Deshalb vergesse ich auch nicht, wo ich herkomme.

Das Foto zeigt Emily Vontz und Heiko Maas, ehemaliger Bundesaußenminister

Nach dem Ausstieg von Ex-Außenminister Heiko Maas rückte Emily Vontz Anfang 2023 im Bundestag als Abgeordnete für ihn nach. Sie vertritt den Wahlkreis Saarlouis/Merzig-Wadern. Foto: Oliver Wagner

Gibt es denn Menschen, die dir sagen würden: Emily, du hast dich verändert?

Emily Vontz: Also bisher hat das noch nie jemand zu mir gesagt, dass ich mich extrem verändert habe. Ich glaube, mein Blick auf politische Prozesse und Entscheidungen, auch auf die Demokratie hat sich verändert, weil ich jetzt mittendrin bin. Ich glaube auch, dass ich realistischer, auch pragmatischer geworden bin. Aber ich habe immer noch sehr viel Hoffnung, sehr viel Mut.

Also hat dich dein erstes Jahr im Bundestag nicht entmutigt oder gar desillusioniert?

Emily Vontz: Natürlich sind die Zeiten aktuell schwierig. Es wäre auch fatal zu sagen, es ist alles gut und wunderbar. Wir haben zwei Kriege um uns herum. Man merkt, dass die AfD im Aufschwung ist. Aber ich sage immer: Es bringt nichts, die Hoffnung aufzugeben und sich einfach auf die Couch zu setzen und nichts zu tun.

Emily in Berlin – im Hintergrund das Bundeskanzleramt. Ob sie enttäuscht sei über die schlechte Kommunikation der Ampel-Regierung? „Teilweise bin ich das schon“, sagt sie uns im Interview – hofft aber, dass es nun besser wird. Foto: Selin Jasmin

Wie enttäuscht bist du über die Ampel-Regierung, vor allem über den Streit und die schlechte Kommunikation?

Emily Vontz: Teilweise bin ich das schon. Bei ganz vielen höre ich den starken Wunsch, egal ob ich mit Senior:innen oder Schulklassen sprechen, dass Politik mehr kommunizieren und erklären muss. Mehr als 70 Prozent des Koalitionsvertrages sind ja umgesetzt, aber niemand redet darüber. Die positiven Dinge dringen nicht durch. Ich glaube aber, das haben jetzt auch alle erkannt, auch in der Ampelkoalition. Das muss sich jetzt ändern.

Das heißt, wir erleben jetzt bald den Ampelfrühling?

Emily Vontz: Zur Jahreszeit würde das gut passen. Die Hoffnung bleibt. Aber natürlich muss man auch realistisch sein: Es sind drei sehr unterschiedliche Parteien. Und Demokratie ist eben kein Ponyhof. Aber ja, ich glaube, dass das jetzt schon ein bisschen spürbar wird.

An welchen Dingen merkst du denn am ehesten, dass sich dein Leben verändert hat, seit du im Bundestag bist?

Emily Vontz: Ich habe nicht mehr nur einen Wohnort, ich sitze ständig im Zug. Ich kenne die Deutsche Bahn tatsächlich mittlerweile in- und auswendig. Meistens klappt es übrigens echt ganz gut mit der Bahn, also wenn kein Streik ist. Mein Blick darauf, Verantwortung zu übernehmen, hat sich auf jeden Fall auch verändert, weil ich die Verantwortung spüre. Ich habe auch vorher innerhalb der Partei verantwortliche Ämter gehabt, aber der Bundestag ist schon etwas sehr Besonderes. Man denkt da jeden Tag: Ich bin jetzt eine von 736 Personen, die eine große Verantwortung haben.

Das Foto zeigt Emily Vontz am Rednerpult des Deutschen Bundestags

Angekommen in Berlin: Bei ihrer zweiten großen Rede im Bundestag sprach Emily Vontz zum Thema „Frauen im Ukrainekrieg“. Foto: Fionn Große

Als jüngste Abgeordnete hast du besondere Aufmerksamkeit bekommen. Gab es durch dein Alter auch Negatives?

Emily Vontz: Der erste Medienrummel war ja, weil ich die Jüngste war und weil Heiko Maas als ehemaliger Außenminister so bekannt war. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, mein Bundestagsjahr gut zu starten und meine Ziele, meine Politik zu erklären. Aber klar, man wird abgestempelt als junge, unerfahrene Frau, die noch nicht gearbeitet hat. Am Anfang habe ich mich davon beeinflussen lassen und selbst nicht akzeptieren können, dass meine Meinung genauso viel wert ist wie die von jemandem, der schon lange im Bundestag ist. Ich habe mir das wirklich zu Herzen genommen und gefragt, bin ich da eigentlich an der richtigen Stelle? Irgendwann habe ich gemerkt: Stopp, es ist wichtig, dass ich meine Meinung vertrete und jemand anderes eine andere Meinung hat. Und dann findet man zusammen. Das habe ich aber erst nach einigen Wochen oder gar Monaten gelernt.

Gab es denn auch Widerstand, den du zu spüren bekommen hast?

Emily Vontz: Ja, tatsächlich von älteren, männlichen Kollegen im Bundestag. Auch aus der Ampelkoalition. Wenn man ans Rednerpult im Bundestag tritt, hört man auch sexistische Sprüche, vor allem von der AfD. Tatsächlich erlebe ich aber, sobald man mit den Leuten redet und erklärt, welche Politik man vertritt, dann sind das Alter und die Erfahrung schnell vergessen. Denn dann verstehen alle: Ich bin neugierig, ich bin offen, ich höre zu, ich nehme die Leute ernst und ich bin empathisch.

Wie gehst du damit um, dass jetzt alle etwas von dir wollen? Ein Thema bei dir platzieren, Hilfe von dir wollen?

Emily Vontz: Das ist manchmal nicht so leicht, weil ich in diesem Moment tatsächlich gerne helfen würde und mir das auch emotional sehr nahe geht, wenn ich mit persönlichen Schicksalen konfrontiert werde, die an der Verwaltung scheitern. Ich versuche dann mit meinem Team von Mitarbeitenden konkret zu unterstützen und zumindest die richtigen Ansprechpartner:innen zu vermitteln. Manchmal brauchen die Leute auch jemanden, der zuhört. Das machen meine Mitarbeiter:innen und ich immer.

Zu Hause in ihrem Wahlkreis: Etwa die Hälfte ihrer Zeit ist Emily Vontz vor Ort in Saarlouis und Merzig-Wadern. Das helfe auch, sich nicht in die Berliner Politikblase hineinziehen zu lassen, sagt sie. Foto: Oliver Wagner

Welchen Einfluss hat dein Mandat auf Freundschaften, etwa aus deiner Schul- oder Studienzeit? Gehen Menschen anders mit dir um, weil du Bundestagsabgeordnete bist?

Emily Vontz: Ich habe das große Glück, dass meine engen Freunde das sehr gut verstehen und mich nicht anders behandeln als vorher. Dafür bin ich sehr dankbar, weil mir das sehr guttut – wenn ich einfach nur ich sein kann. Natürlich wollen jetzt viel mehr Leute mit einem Kaffee trinken gehen. Ich freue mich natürlich auch, dass Leute sich dafür interessieren, was ich mache. Aber ich versuche schon zu überlegen, mit wem ich Kaffee trinken gehe und wem ich sage: Na ja, das muss ja jetzt doch nicht sein.

Gibt es Dinge, die jetzt nicht mehr möglich sind – weil du Bundestagsabgeordnete bist?

Emily Vontz: Ich versuche, mir selbst treu zu bleiben. Ich will mich nicht verstellen, auch wenn ich zum Beispiel an einer Diskussionsrunde teilnehme. Ich versuche so zu reden, wie ich sonst auch rede. Ich finde: Politik muss menschlicher werden. Man muss auch mal sagen können, wenn es schwierig ist oder es einem vielleicht persönlich gerade nicht so gut geht. Das fehlt an manchen Stellen, um für mehr Verständnis für den Job Politik zu werben. Wir sind alle keine Maschinen!

Dennoch ist dein tägliches Pensum gewaltig – dazu hast du auch eine Serienfolge bei uns geschrieben.

Emily Vontz: Im Bundestag sind es manchmal so 14-, 16-Stunden-Tage. Klar, da arbeitet man nicht von morgens bis abends durch. Viele Abgeordnete kommen ohne viel Schlaf aus, da habe ich mich leider noch nicht so daran gewöhnt.

Emily Vontz sucht auch den Kontakt zu Menschen, die sich von der Politik abwenden: „Wir müssen dieses Bild von Politik aufbrechen, dass alles kompliziert ist und lange dauert.“ Foto: Selin Jasmin

Dein Studium läuft parallel. Hat das denn bisher funktioniert oder ist es „on hold“ und du studierst irgendwann weiter?

Emily Vontz: Nein, ich bin sehr stolz zu berichten, dass es nicht „on hold“ ist, sondern dass ich in anderthalb Wochen meine allerletzte Klausur schreiben werde. Das war richtig krass. Dafür lerne ich gerade auch und in der Sommerpause schreibe ich noch meine Bachelorarbeit.

Als Politikerin hast du ein enormes Arbeitspensum – und doch sehen das viele nicht. Sie fühlen sich von der etablierten Politik abgehängt, tendieren zur AfD. Hast du eine Idee, wie Politik diese Menschen erreichen kann?

Emily Vontz: Ich bin überzeugt: Nicht alle, die jetzt angeben, die AfD wählen zu wollen, sind schlechte Menschen oder nicht mehr erreichbar. Als Parteien müssen wir uns die Frage stellen, was machen wir falsch? Ich habe mir persönlich von Anfang an das Ziel gesetzt, meinen Teil als Abgeordnete dazu beizutragen, aufzuklären. Gerade erst heute Morgen habe ich in einer Schule sehr offen darüber geredet, welche Gefahr von der AfD für die Demokratie ausgeht. Wir Abgeordnete, wir Parteien, wir PolitikerInnen müssen eine gute Arbeit machen. Das bedeutet auch gut, klar und einfach zu kommunizieren. Wir müssen dieses Bild von Politik aufbrechen, dass alles kompliziert ist und lange dauert. Das ist extrem viel Arbeit. Aber ich glaube, eine andere Chance, also gute Arbeit zu machen, haben wir auch nicht. Es muss sich jeder auch an die eigene Nase fassen und sagen: „Okay, es ist jetzt wichtig, dass ich mich gegen die AfD positioniere“. Ob das bei der Arbeit ist oder im Verein. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die aktuellen Demonstrationen gegen die AfD aus allen Schichten der Gesellschaft zeigen aber, dass wir auf einem guten Weg sind.

Gelingt es dir denn, Meinungen im persönlichen Gespräch zu drehen?

Emily Vontz: Es ist tatsächlich sehr oft so, dass Leute zu mir sagen: „Sie sind ja ganz nett, aber das ist jetzt nicht das Angebot an Politik, was ich mir vorstelle.“ Ich sage dann immer, dass ich das verstehe. Ich sage aber auch: Ich kann Ihnen nur das anbieten, was ich bin und was ich habe. Entweder passt das für Sie oder nicht, das ist Ihre Entscheidung. Ich gehe da ganz offen und ehrlich heran. Wenn ich Termine vor Ort mache, ob das bei der Bundeswehr ist oder im Kindergarten ist im Seniorenheim: Ich bin ich ehrlich und offen und frage nach. Das ist meistens schon genug, wenn die Menschen merken, dass man sich für das, was sie machen, interessiert und ihnen nichts vorspielt.

Das Interview führte Christian Lauer

Emily in Berlin

Emily Vontz

Emily ist mit 23 Jahren seit Januar 2023 die jüngste Abgeordnete im Bundestag. Für SOL.DE berichtet sie aus ihrem Alltag in Berlin und aus dem Saarland. Als jüngstes Mitglied im Bundestag hat sie eine besondere Perspektive auf das politische Geschehen und möchte euch dabei so nah wie möglich mitnehmen. Schreibt ihr gerne auf Instagram oder informiert euch über sie auf ihrer Website.