Pascal aus Burbach verschwand vor genau 23 Jahren
Der Fall Pascal Zimmer ist einer der größten ungeklärten Kriminalfälle der deutschen Nachkriegsgeschichte. Genau 23 Jahre nach dem Verschwinden des damals Fünfjährigen in Saarbrücken-Burbach ist noch immer offen, was mit dem Jungen passiert ist. Unter massiver Kritik waren 2007 alle zwölf Angeklagten im Prozess um den mutmaßlichen Mord an Pascal freigesprochen worden. Ein Gedenkstein in Schwalbach erinnert mittlerweile an den Jungen.
Wer ist Pascal Zimmer und wer ist seine Familie?
Pascal Zimmer ist ein mutmaßlich ermordeter Junge aus dem Saarbrücker Stadtteil Burbach. Er wird am 11. Dezember 1995 geboren. Am 30. September 2001 verlässt er die Wohnung seiner Eltern und verschwindet mit seinem Fahrrad auf dem Weg zum Oktoberfest.
Bis zum heutigen Tag ist Pascals Schicksal ungeklärt. Seine Eltern, Karl-Heinz Coen (Gerüstbauer) und Sonja Zimmer, sind mittlerweile tot. Sonja stirbt während der Verhandlung um Pascals Verschwinden mit 46 Jahren an einer Hirnblutung. Zwei Wochen später stirbt Karl-Heinz (50) an einem Herzinfarkt. Pascal hat noch zwei Stiefschwestern und eine Tante. Sie sind die einzigen Angehörigen. Tante Sigrid Hübner gibt der „Bild“-Zeitung 2016 ein Interview.
Fall Pascal: So liefen die Ermittlungen
Die Polizei richtet nach Pascals Verschwinden schnell eine Sonderkommission (Soko) namens „Hütte“ ein. In den Tagen nach dem 30. September suchen die Ermittler:innen fieberhaft nach dem Fünfjährigen, werten Hunderte Hinweise aus.
Nach zwei Wochen gerät Pascals 18-jährige Stiefschwester in Verdacht. Ihre jüngere Schwester hatte gesagt, Pascals Stiefschwester hätte mit Pascal gestritten, ihn mit einer Schaufel erschlagen und die Tat gestanden. Die beiden Schwestern verstricken sich im weiteren Verlauf der Ermittlungen in Widersprüche, zu einer Anklage gegen Pascals Stiefschwester kommt es nicht.
Parallel dazu laufen Ermittlungen wegen einer möglichen Kindeswohlgefährdung in Saarbrücken-Burbach. Dabei geht es um den damals sechsjährigen „Kevin“, der Jahre später unter seinem echten Namen Bernhard Müller sein Schweigen brechen wird.
Er ist ein Spielkamerad von Pascal und berichtet rund ein Jahr nach dessen Verschwinden von Missbrauch in der Burbacher „Tosa Klause“. Pascal sei von einer Gruppe Erwachsener dort sexuell missbraucht worden. Mitglieder seien die Kneipenwirtin und ehemalige Pflegemutter Christa W., Andrea M., Bernhards leibliche Mutter, und weitere Stammgäste der „Tosa Klause“. Wenige Monate nach Bernhards Aussagen wird gegen die Verdächtigen Haftbefehl erlassen.
Andrea M. gesteht in Vernehmungen, Pascal in die Kneipe gelockt, mehrmals vergewaltigt und mit einem Kissen erstickt zu haben. Die Leiche hätte sie zusammen mit den weiteren Personen aus der mutmaßlichen Missbrauchs-Gruppe in einen Müllsack gesteckt und in einer Sandgrube im französischen Schoeneck vergraben. Eine Einsatzgruppe untersucht daraufhin die Grube, findet aber keinen Leichnam. Auch andere Verdächtige geben zu, am Tod von Pascal beteiligt gewesen zu sein.
Fall Pascal: Prozess ohne Leiche
Am 20. September 2004 beginnt vor dem Landgericht Saarbrücken der Prozess gegen zwölf Verdächtige. Sechs von ihnen sind wegen Mordes angeklagt, die anderen wegen sexuellen Missbrauchs.
Zitat aus der Anklageschrift: „Pascal habe zunächst Süßigkeiten erhalten. Danach habe die Angeklagte M. den sich heftig sträubenden Pascal in ein zu der ‚Tosa-Klause‘ gehörendes Kämmerchen geschleppt, um […] weiteren Mitangeklagten, die dafür an die Angeklagte W. jeweils 20 D-Mark hätten zahlen müssen, zu ermöglichen, das Kind sexuell zu missbrauchen. Danach hätten [weitere Angeklagte] nacheinander mit dem sich weiterhin heftig wehrenden und schreienden Pascal den Analverkehr ausgeübt. Die Angeklagte M. habe sie dabei unterstützt und ebenfalls sexuelle Handlungen an dem Kind vorgenommen. […] M. habe [später] den Kopf von Pascal gewaltsam nach unten in ein Kissen gedrückt.“
Der Prozess basiert alleine auf Andrea M.s Zeugenaussage, die sie anfangs vor Gericht auch wiederholt. Es gibt keine Leiche, die Ermittler:innen fanden auch Pascals Fahrrad nicht. Außerdem entdeckten Kräfte der Polizei auf der Matratze in der „Tosa-Klause“, auf der Pascal vergewaltigt worden sein soll, keine Spuren.
Andrea M. widerruft im Laufe des Verfahrens ihre Aussage. Es kommt Kritik an den Behörden auf: Die teils geistig minderbegabten und alkoholkranken Beschuldigten seien in Vernehmungen unter Druck gesetzt worden. Auch gibt es jetzt Zweifel an der Aussage von Bernhard Müller.
Der Prozess dauert deutlich länger als erwartet, die Verhandlung gerät immer wieder ins Stocken. Die Oberstaatsanwaltschaft fordert schließlich in ihrem Plädoyer im August 2007 in elf Fällen Freiheitsstrafen, in fünf davon lebenslange Freiheitsstrafe. Einer der Angeklagten sei freizusprechen. Die Verteidiger fordern Freisprüche. In ihren letzten Worten beteuern die Angeklagten ihre Unschuld.
Sie werden alle nach 147 Verhandlungstagen und 294 Zeugenvernehmungen am 7. September 2007 freigesprochen. Es gebe „nicht ausgeräumte Zweifel“ an der Schuld der Angeklagten, begründet Richter Ulrich Chudoba die Entscheidung.
Fall Pascal: Reaktionen auf das Urteil und Revision
Vonseiten der Öffentlichkeit gibt es an den Freisprüchen viel Kritik. Der damalige Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Heiko Maas sagt: „Ich finde die Freisprüche zum Kotzen. Es ist unfassbar, dass es in einem der aufwändigsten Prozesse der deutschen Justizgeschichte nicht gelungen ist, den Tatvorwurf des Mordes und des Missbrauchs an einem kleinen Kind zu beweisen. Heute haben viele den Glauben an den Rechtsstaat verloren.“ Die Deutsche Kinderhilfe spricht von einem „schwarzen Tag für kindliche Opfer in deutschen Strafverfahren“.
Die Staatsanwaltschaft legt gegen die Freisprüche der Wirtin Christa W. und drei weiterer Angeklagter Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) ein. Der BGH bestätigt Anfang 2009 allerdings das Urteil des Landgerichts. Es habe keine Fehler bei der Beweiswürdigung gegeben, außerdem habe das Saarbrücker Gericht das Urteil sorgfältig und eingehend begründet.
Fall Pascal: Was nach dem Prozess geschah
Einer der Angeklagten, Martin R., ersticht Ende Mai 2009 einen Nachbarn mit einem Küchenmesser. Ein Gericht verurteilt ihn zu sechs Jahren Haft wegen Totschlags; 2015 kommt er aus dem Gefängnis. Etwa ein Jahr später wird er wegen Körperverletzung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.
Im Mai 2011 kommt heraus, dass es 2005 einen Hinweis zur Leiche von Pascal gegeben haben soll, dem die Ermittler:innen aber nicht nachgegangen seien. Der Leichnam sei in einer französischen Grube verscharrt, später aber wieder ausgegraben und in Luxemburg erneut vergraben worden. Aufgrund des Hinweises kamen laut Staatsanwaltschaft keine anderen Tatverdächtigen als die ehemals Angeklagten in Betracht. Deshalb kann sie „keine weiteren Schritte unternehmen“.
Die „Tosa-Klause“ wird 2012 abgerissen. Heute wird das Gelände als Parkplatz genutzt. Der Spielkamerad von Pascal, der wie der Vermisste missbraucht worden sein soll, geht 2017 mit seinem echten Namen Bernhard Müller an die Öffentlichkeit. Im selben Jahr wird in Schwalbach ein Gedenkstein aufgestellt. Saarbrücken hatte sich aus „rechtlichen und inhaltlichen“ Gründen geweigert, den Stein in Burbach aufzustellen.
Fall Pascal: Der aktuelle Stand
Pascal Zimmer aus Saarbrücken-Burbach bleibt bis heute verschwunden. Laut Polizei ist der Fall aber nicht abgeschlossen. Gibt es neue Hinweise, so wollen die Ermittler:innen wieder aktiv werden. Für tot erklären kann Pascal letzten Endes nur die Staatsanwaltschaft, da dessen Eltern verstorben sind.
Fall Pascal: Weitere Infos
Wer sich weiter mit dem Fall befassen möchte, findet im Internet viel Hintergrund-Material. Eine ARD-Dokumentation namens „Die großen Kriminalfälle: Ein Kind verschwindet – Der Fall Pascal“ dröselt das Verschwinden und den Prozess nochmal auf. Sie ist unter anderem auf YouTube zu finden. Eine Facebook-Seite namens „Pascal Zimmer – Gegen das Vergessen“ erinnert an den Jungen. Die Saarbrücker Zeitung hat sich in einem True-Crime-Podcast mit dem Fall beschäftigt.
Außerdem sind zwei Bücher erschienen: Zum einen von „Spiegel“-Reporterin Gisela Friedrichsen („Im Zweifel gegen die Angeklagten: Der Fall Pascal – Geschichte eines Skandals“) und von Journalist Dieter Gräbner („Pascal: Anatomie eines ungeklärten Falles“).
Verwendete Quellen:
– eigene Recherche